Carsten Linnemann liegt falsch und zwar mit allem was er sagt.

Der CDU-Politiker Carsten Linnemann (Kein Bildungspolitiker) macht mit einem Interview in der Rheinischen Post auf sich aufmerksam, in dem er sagt: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden.“

Zuvor weist er auf die Stadt Duisburg hin, wo laut ihm Sprachtests ergeben hätten, dass „über 16 Prozent der künftigen Erstklässler gar kein Deutsch können“.

Für die erste Aussage gibt es keine Anhaltspunkte, die zweite Aussage zu Duisburg ist schlichtweg falsch.

Zunächst zu Duisburg. Der Bericht auf den sich Linnemann bezieht findet man im Internet. Es ist eine Untersuchung der Einschulkinder für das Schuljahr 2017/2018. Einschulkinder sind 5 1/2 Jahre alt. Untersucht wurden 4.433 Kinder. Von diesen 4.433 Kindern hatten 2.219 einen Migrationshintergrund. Dabei wird Mitgrationshintergrund über die Erstsprache Definiert, d.h. was das Kind in den ersten vier Lebensjahren zu Hause am meisten spricht. Ein Kind britischer Eltern, das zu Hause Englisch spricht hat also genauso einen Migrationshintergrund wie das Kind rumänischer Eltern, das zu Hause Rumänisch spricht.

Neben vielen anderen Tests wird auch ein Sprachtest gemacht. Dieser wurde an 2.104 Kindern mit Migrationshintergrund durchgeführt. Dabei gibt es fünf Kategorien von „Das Kind spricht kein Deutsch“ bis „Das Kind spricht fehlerfrei und flüssig Deutsch“. Bei diesem Sprachtest kam also raus, und das ist jetzt wichtig, dass 16,4% der Duisburger Einschulkinder mit Migrationshintergrund keine Deutschkenntnisse hatten (S. 10). Nochmal: Nicht 16,4% der Einschulkinder in Duisburg sprechen kein Deutsch, sondern 16,4% der Kinder, die einen Migrationshintergrund haben. In absoluten Zahlen handelt es sich um 345 von 4.433 Kindern, also 7,8%. Herr Linnemann versäumt es zu erwähnen, dass die restlichen Kinder so gut Deutsch sprechen, dass sie sich verständigen können.

Linnemann geht auch nicht darauf ein, dass es in jedem Bundesland, auch in NRW, Förderprogramme für solche Kinder gibt, damit sie eben bei Schuleintritt in der Lage sind Deutsch zu sprechen. Da die Kinder mit 5 1/2 Jahren getestet werden, also vor der Einschulung, sagt die Zahl auch nichts darüber aus, bei welchen Kindern sich die Sprachkenntnisse bei Einschulung verbessert haben. Die Aussage, über 16% der künftigen Erstklässler in Duisburg könnten kein Deutsch, entbehrt jeder Grundlage und ist schlichtweg falsch.

Für Linnemann werden die Probleme also immer größer, ohne dass es dafür Anhaltspunkte gibt, für ihn sind 345 Kinder in Duisburg, die im Alter von 5 1/2 Jahren kein Deutsch sprechen, der Ausweis für „Parallelgesellschaften in vielen Bereichen des Landes“.

Linnemann bringt eine „Vorschulpflicht“ ins Spiel, wobei unklar bleibt, was das bringen soll, weil es wie gesagt in allen Bundesländern Programme für Kinder gibt, die kein Deutsch oder sehr schlechtes Deutsch sprechen.

Zur Frage, inwiefern ein Migrationshintergrund bzw. nicht deutsche Muttersprache daran hindert, eingeschult zu werden, gibt es eine andere sehr instruktive Statistik, „Bildung in Deutschland 2018“, die auf der Webseite des Statistischen Bundesamts abgerufen werden kann. Dort findet man auf Seite 83 eine Grafik zum Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache bzw. Eingliederungshilfe in Kindertagesbetreuung 2017 nach Altersjahren (in %). Die Grafik sagt also, wie viele Kinder im alter von 4-7 Jahren mit nichtdeutscher Familiensprache in Kindertagesbetreuung, also einem Kindergarten sind. Kinder, die mit sieben noch im Kindergarten sind, sind logischerweise noch nicht in der Schule.

Im Alter von sieben Jahren sind es 25%. Das klingt erst mal viel, im Text wird aber darauf hingewiesen: „Allerdings handelt es sich bei den 7-Jährigen in Kindertageseinrichtungen um eine sehr kleine Gruppe von unter 1% der gleichaltrigen Bevölkerung.“ Will man also wissen, wie groß dieser Personenkreis in absoluten Zahlen ist, muss man sich anschauen, wie viele 7-Jährige es 2017 (Auf dieses Jahr wird sich bezogen) gab. Auch hierzu gibt es glücklicherweise eine Webseite der sich entnehmen lässt, dass es 2017 732.000 7-Jährige gab. Gehen wir also nicht von unter einem, sondern einem Prozent 7-Jähriger in Kindergärten aus, so sind das 7.320 Kinder. Davon 25% sind 1.830 Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache, die aus welchen Gründen auch immer mit sieben Jahren noch nicht in der Schule sind, sondern im Kindergarten. Und so kommt die Studie zu dem Ergebnis: „Das bedeutet auch, dass für die allermeisten Kinder eine nichtdeutsche Familiensprache kein Hinde­rungsgrund für eine fristgemäße Einschulung darstellt.“ Ich weise an dieser Stelle noch ganz selbstkritisch darauf hin, dass die Betreuungsquote in Deutschland 2017 bei 93,6% lag, es also 6,4% Kinder gab, die keinen Kindergarten besuchten, das sind in absoluten Zahlen für 2017 162.384. Zu diesen Kindern kann also seriös nichts gesagt werden, zumindest nicht mit dem Zahlenmaterial, das ich hier zitiere.

Was machen wir daraus jetzt? Linnemann operiert mit falschen Zahlen und Behauptungen, um ein Problem zu beschreiben, das es nicht gibt, wenn man sich die Zahlen anguckt. Dass man auch mit schlechten Deutschkenntnissen eine beeindruckende Bildungskarriere hinlegen kann, dass Linnemanns Behauptungen und Einlassungen Bildungspolitisch keinen Sinn machen, haben andere Leute an anderer Stelle erklärt.

Es bleibt nur zu sagen: Linnemann liegt falsch und zwar mit allem was er sagt.

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3 Antworten auf „Carsten Linnemann liegt falsch und zwar mit allem was er sagt.“

  1. Ein sehr guter Text! Vielen Dank fürs genaue nachschauen und recherchieren 🙂

    Da die Ankündigung war, dass „Alles was Linnemann sagt“ falsch ist hier noch ein Zusatz (der auch falsch ist):

    „In meiner Heimat Paderborn wird tatsächlich gerade darüber diskutiert, das traditionelle Libori-Feuerwerk aus Klimaschutzgründen abzuschaffen. Glaubt denn wirklich jemand, dass andere Städte und Länder nachziehen werden? Wenn schon 97% der weltweiten CO2-Emissionen nicht in Deutschland verursacht werden, dann sollten wir doch zumindest Ideen umsetzen, die andere Länder nachmachen. Das Verbot von Feuerwerken wird sicher nicht dazu gehören.“

    Linnemann suggeriert hier, dass Deutsche Städte Vorreiter wären, wenn sie Feuerwerke verböten. Dazu ein Beitrag vom Beginn des Jahres (oder Ende des letzten) auf Tagesschau.de:

    In China eine Stille Nacht
    https://www.tagesschau.de/wirtschaft/feuerwerk-china-101.html

    Darin wird gesagt, dass in über 400 Stadtverwaltungen in China Feuerwerk zum chinesischen Neujahr verboten sind und auf Elektrofeuerwerk zurückgegriffen wird. In einem Land, das historisch so eng mit Feuerwerk verbunden ist, ist das eine Hausnummer (erst Recht, weil ich davon ausgehe, dass er bei den 97% anderer CO2-Ausstoss als erstes an China denkt, weil die ja böse sind).

    Davon abgesehen, dass ich persönlich natürlich nachvollziehen kann, dass er seinen eigenen konservativen Wählern nicht sagen will, dass sie sich werden anpassen müssen, ist also die Aussage, dass „Eine Stadt keinen Unterschied macht“ schon einmal quark. Dass seine Stadt natürlich weniger Strahlkraft hat, als 400 in ganz China sei ihm zugestanden, aber man kann ja vielleicht auch einmal von „den Bösen“ lernen.

    Ein letzter Zusatz noch: China macht das ganze – laut Artikel – aus Feinstaubgründen. Also man kann nun sagen, dass das ja nichts mit CO2 zu tun hat, aber ich denke dennoch, dass dieser Effekt auch sehr gerne genommen wird.

    Viele Grüsse und weiter mit der guten Arbeit.

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