SPD kann nicht sagen, ob das Ergebnis ihrer Mitgliederbefragung stimmt

tl;dr: Die SPD kann nicht sagen, ob das Ergebnis ihrer Online-Mitgliederbefragung stimmt. Dass die SPD Online- und Briefwahlergebnisse nicht getrennt angibt, nicht mal die absoluten Stimmen nennt, die online und offline auf die jeweiligen Teams entfallen sind, ist unseriös. Wenn man das SPD Verfahren ernst nimmt, ergibt sich noch immer eine starke Ungleichbehandlung zwischen Online- und Offline-Stimmen.

Gestern gegen 18:00 Uhr teilte die SPD das Ergebnis Ihrer Mitgliederbefragung zur Bestimmung des nächsten Bundesvorsitzes mit.

Das intransparente und unsichere Online-Verfahren wurde nicht nur von mir, sondern auch vom Chaos Computer Club kritisiert. In der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gehen Constanze Kurz und Frank Rieger noch einmal auf das Unternehmen Scytl ein, dessen Systeme in der Vergangenheit immer wieder von Forscherinnen und Forschern erfolgreich gehackt worden sind.

Stimmberechtigt laut SPD waren 425.630 Mitglieder. Wie viele Mitglieder online abstimmten und wie viele per Brief, darüber macht die SPD auf ihrer offiziellen Webseite keine Angaben. Auch Fragen hierzu auf Twitter beantwortet sie nicht. Sie spricht auf ihrer Webseite von 226.775 „Rücksendungen“. Das ist irreführend, denn Online-Stimmen werden direkt abgegeben und von einem Computer gezählt, eine Rücksendung wie bei der Briefwahl findet ja explizit nicht statt, es wird direkt online abgestimmt. Sprachlich wird auf der Seite des Endergebnisses verschleiert, dass es überhaupt eine Online-Abstimmung gab.

Der ordnungsgemäße Ablauf der Abstimmung wurde von einem Notar beglaubigt. Wie der Notar in der Lage gewesen sein soll, den ordnungsgemäßen Ablauf der Online-Abstimmung zu beglaubigen, ist hierbei ein großes Fragezeichen. Selbstverständlich beantwortet die SPD auch diese Frage nicht.

11.819 Stimmen konnten nicht berücksichtigt werden, da die Kriterien für eine ordnungsgemäße Stimmabgabe nicht erfüllt wurden. Bei diesen Stimmen muss es sich um Briefwahlstimmen handeln. Darunter muss man sich wahrscheinlich vorstellen, dass keine Eidesstattliche Erklärung abgegeben wurde, oder die Zettel zur Briefwahl nicht in die richtigen Umschläge gepackt wurden.

Unabhängig von der Tatsache, dass die Online-Abstimmung nicht nachvollziehbar und damit unbrauchbar ist, zeigt die hohe Zahl an nicht berücksichtigter Stimmabgaben, dass die Online-Stimme gegenüber der Offline-Stimme privilegiert war: Wenn man das SPD-Verfahren ernst nimmt, ist es schlichtweg unmöglich, einen Fehler zu machen, der dazu führt, dass eine abgegebene Online-Stimme nicht berücksichtigt wird. Demgegenüber stehen die Briefwahlstimmen, von denen 11.819 aufgrund formaler Fehler nicht berücksichtigt wurden. Die Anforderungen der SPD an die korrekte Abgabe einer Briefwahlstimme waren also deutlich höher und voraussetzungsreicher, als die Anforderungen für die korrekte Abgabe einer Online-Stimme. Bei den knappen unterschieden zwischen den Teams hätten diese nicht berücksichtigten Briefwahlstimmen den Ausschlag geben können. (Dies soll nur zeigen, dass, selbst wenn man das von der SPD gewählte Verfahren ernst nehmen würde, es eine erhebliche Ungleichbehandlung zwischen Online- und Offline-Abstimmung gab. Natürlich kann aufgrund des Verfahrens ein online abstimmendes Mitglied nie wissen, ob seine Stimme tatsächlich berücksichtigt wurde und wenn ja, wie.)

Von den 214.956 zulässigen Stimmen waren wiederum 1.263 ungültig. Auch dies dürften Briefwahlstimmen gewesen sein, da es meines Wissens nicht möglich war, online ungültig abzustimmen. Enthalten haben sich 2.376 Abstimmende.

Rechnet man die prozentualen Ergebnisse aller Teams zusammen, so kommt man auf 98,87%. Nimmt man die 213.693 gültigen Stimmen als Grundlage, wären die Enthaltungen 1,11%. Wo die 0,02% bleiben ist nicht klar, am wahrscheinlichsten ist ein Rundungsfehler.

Durchgesetzt haben sich Klara Geywitz und Olaf Scholz mit 22,68%, also ca. 48.465 Stimmen und Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit 21,04%, also ca. 44.961 Stimmen. Das drittplatzierte Team Christina Kampmann und Michael Roth erhielt 16,28% also ca. 34.789 Stimmen. Damit gehen Geywitz/Scholz und Esken/Walter-Borjans in die Stichwahl. Diese Abstimmung findet laut SPD vom 19.11.-29.11.19 statt. Bis zum 30.10.19 18:00 Uhr kann man sich für diese Stichwahl online registrieren. Hierzu sind, wie bereits vorher kritisiert, nur die Mitgliedsnummer und das Geburtsdatum eines SPD Mitglieds notwendig. Es ist also relativ einfach, als nicht SPD-Mitglied an der Stichwahl teilzunehmen, falls man entsprechende Informationen zur Hand hat. Trotz der öffentlichen Kritik an diesem unsicheren Registrierungsverfahren hat die SPD es nicht geändert.

Fazit

Da sich die SPD dazu entschieden hat, ihre Online-Abstimmung durchzuziehen, kann man nicht sagen, ob das Ergebnis tatsächlich stimmt oder nicht. Mit 53,28% ist die Beteiligung extrem gering. An der Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag 2018 nahmen noch 378.437 Mitglieder teil. Die SPD hatte damals noch 463.722 Mitglieder, die Beteiligung lag also bei 78,4%. Bei der jetzigen Mitgliederzahl entspräche dies einer Beteiligung von 88,91%. Je niedriger die Wahlbeteiligung ist, desto einfacher ist es natürlich für Angreifer, die Abstimmung durch Online-Stimmen zu beeinflussen.

Dass die SPD Online- und Offline-Ergebnisse nicht gesondert aufschlüsselt ist extrem unseriös. Bei der Bundestagswahl können alle nachvollziehen, wie sich die Briefwahlstimmen und die Stimmen im Wahllokal zusammen setzen. Die einzige Zahl, die zumindest ein Indiz dafür gibt, wie sich die Online/Offline-Stimmen zusammen setzen, ist die Angabe einer SPD Sprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur AFP am Montag, den 21.10.19.

Laut dieser Meldung hatten nach einer Woche 28,9% der 425.630 stimmberechtigten Mitglieder abgestimmt. Laut Sprecherin „vor allem Online-Voten“. Bei einer Wahlbeteiligung von 53,28% ist es also gut möglich, dass mehr als die Hälfte der Gesamtstimmen über das Online-Verfahren abgegeben worden sind.

Was die Berichterstattung zum SPD Wahlcomputer angeht, so muss festgehalten werden, dass es zwar Berichterstattung in Redaktionen gab, die sich mit Computer und Internet-Themen befassen, Politik-Redaktionen schien das Thema jedoch egal zu sein. Woran es liegt ist schwer zu sagen, Hauptgrund könnte sein, dass das technische Wissen in diesen Redaktionen häufig sehr gering sein dürfte.

Vor dem Hintergrund, welch weitreichende Folgen der neue SPD-Vorsitz für den Fortbestand der Großen Koalition hat, vor dem Hintergrund, welche Auswirkungen dies auf Deutschland, Europa und die ganze Welt hat, würde ich mir wünschen, dass das Thema in den nächsten Tagen breiter aufgegriffen wird, auch wenn meine Hoffnung hierzu sehr gering ist.

Dass sich die SPD der öffentlichen Kritik nicht stellt und so tut, als ob ihr inhärent unsicheres Online-Abstimmungsverfahren sicher wäre, ist dreist, bedenklich und auf dem Niveau von Politikern, die Berichterstattung, die ihnen nicht passt, als „Fake News“ bezeichnen.

Korrektur 16:01 Uhr:

In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, die SPD hätte nicht die absoluten Stimmergebnisse für die jeweiligen Teams genannt. Das ist falsch. Bei der Ergebnisverkündung nannte ein Mitglied der Mandatsprüfungs- und Zählkommission die absoluten Stimmergebnisse, wie in diesem Video zu sehen ist. Auf der Webseite jedoch fehlen sie. Gleichzeitig wird nich aufgeschlüsselt, wie viele dieser Stimmen online und wie viele dieser Stimmen offline eingingen. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen.

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3 Antworten auf „SPD kann nicht sagen, ob das Ergebnis ihrer Mitgliederbefragung stimmt“

  1. Guten Abend Herr Lauer,
    SPD Abstimmungsvorgang, Wahlausgang Thüringen, Kommentare der Parteien zum vorläufigen
    Ergebnis… ich brauche Lauer/Wehner täglich für die Gegenwartsbewältigung (überweise jetzt auch sofort – wahrscheinlich nicht in ausreichender Höhe, sorry)
    Weiter so.
    Beste Grüße
    Martin Schmitz

  2. Ich habe in der SPD-Zentrale nachgefragt, ob ich das Abstimmungsergebnis, aufgeschlüsselt nach Online-Stimmen und nach Briefwahl-Stimmen, erhalten könnte.
    Man hat mir geantwortet, dies sei nicht möglich.
    Man hat doch sicherlich die ausgezählten Briefwahlstimmen an irgendeiner Stelle notiert?
    Oder hat man das gleiche Unternehmen mit der Auszählung der Briefwahlstimmen beauftragt?
    Für wie blöd hält die SPD eigentlich ihre Mitglieder?

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