Warum die öffentliche Behauptung ohne Beleg, es hätte Wahlbetrug gegeben, strafbar sein sollte

Gestern um 17:56 Uhr, also vier Minuten vor Veröffentlichung der ersten Wahlprognosen zur Wahl in Hamburg, twitterte der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, das AfD-Mitglied Stefan Brandner, wie folgt: „So, dann sind wir mal gespannt (auch auf die Wahlfälschungen?) – und immer daran denken: Was sind schon so ‘n paar #Hamburger🤨 gegen viele Millionen #Thüringer💪, #Sachsen👍 & und #Brandenburger🚀? #AfD #nurnochAfD #jetzterstrechtAfD“

Brandner, dem als stellvertretendem Mitglied des Bundesvorstands der AfD zu diesem Zeitpunkt die Wahlprognose von 4,7% bekannt gewesen sein dürfte – denn Parteiführungen bekommen diese vorab mitgeteilt, um Punkt 18:00 Uhr sprechfähig zu sein – insinuiert mit diesem Tweet, es hätte eine wie auch immer geartete Manipulation der Wahl in Hamburg zum Nachteil der AfD gegeben, ohne dies in irgendeiner Form belegen zu können. Auch später belegte er nicht, was er mit seinem Tweet behauptet hatte.

Der im November 2017 aus der AfD ausgetretene baden-württembergische Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner legte um 18:05 Uhr nach: „Wahlfälschung bei der #HamburgWahl, perfekt vor der Wahl #Hanau, nach der Wahl wird Hamburg als Verhinderer des vierten Reiches gefeiert werden. Liebe #Altparteien, gebt euch beim putschen wenigstens Mühe daß es ehrlicher wirkt. Wir werden siegen!“

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, vor allem in Deutschland. Sie kann nicht leichtfertig eingeschränkt werden. Aber gleichzeitig sind auch freie, geheime Wahlen, sowie das Vertrauen in die Integrität der Wahl ein hohes Gut in unserer Demokratie. Die Tweets Brandners und Fiechtners zielen einzig und allein darauf ab, zumindest bei einem Teil der Bevölkerung das Vertrauen in den korrekten Wahlablauf zu zerstören. Dieser gefährlichen Entwicklung muss entgegengetreten werden.

Wozu das führen kann, sieht man am Beispiel der USA: Nach einer am 27. Oktober 2016 durch das Pew Research Center veröffentlichten Studie sagten 56% der befragten Trump-Unterstützer, dass sie wenig oder kein Vertrauen darin haben, dass die Präsidentschaftswahl fair ablaufen wird. Trump hatte vor der Wahl immer wieder ohne Beleg behauptet, die Wahl wäre „rigged“, also manipuliert. In einer am 10. Oktober 2019 veröffentlichten Studie des Umfrageinstituts Ipsos im Auftrag von C-SPAN, einem US-amerikanischen Fernsehsender, gaben 46% der Gesamtbefragten an, wenig oder kein Vertrauen zu haben, dass die Präsidentschaftswahl 2020 fair ablaufen wird. 2016, in der von Pew durchgeführten Umfrage, waren es noch 11 Prozentpunkte weniger, also 35%.

Ich will keinem verschwörungsideologisch angehauchten Stammtisch verbieten, nach dem dritten Bier mit den Kegelbrüdern darüber zu fabulieren, ob es bei einer Wahl mit rechten Dingen zuging. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir eine Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter brauchen. Denn das, was früher vielleicht nur Blödsinn war, wird dank der sogenannten Sozialen Medien und dank klassischer Medien, die diese dann zitieren, zu brandgefährlichem Blödsinn, mit dem Potenzial, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie nachhaltig zu beschädigen. Denn auch wenn den meisten Leuten klar sein dürfte, dass an den Behauptungen Branders und Fiechtners nichts dran sein dürfte, etwas bleibt immer hängen: Sie dienen der Radikalisierung der AfD-Basis. Wozu die radikalisierte AfD-Basis fähig ist, wurde uns in den letzten Wochen und Monaten auf erschreckende Weise demonstriert.

Die öffentlich vorgetragene Behauptung, es hätte bei einer Wahl Manipulationen gegeben, ohne dass man dafür konkrete Anhaltspunkte hat, sollte also unter Strafe stehen, zumindest aber muss sie eine Ordnungswidrigkeit werden. Das klingt drastisch und könnte dazu führen, dass echte Wahlmanipulationen aus Angst vor Strafverfolgung nicht mehr angezeigt werden. Dies gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Daher ist die klare Abgrenzung die Öffentlichkeit der Tat: Wer sich direkt an die Polizei, die Staatsanwaltschaft, den Landeswahlleiter oder die Landeswahlleiterin wendet, muss nichts befürchten. Wer aber öffentlich behauptet, eine Wahl wäre manipuliert worden, wer in Kauf nimmt, dass diese Behauptung tausend- und millionenfach über das Internet und klassische Medien verbreitet wird, der sollte besser direkt die konkreten Anhaltspunkte benennen, auf denen diese Aussage fußt. Andernfalls setzt man sich nämlich dem Verdacht aus, eine solche Behauptung nur getätigt zu haben, um das Vertrauen in die demokratischen Prozesse unserer Gesellschaft zu beschädigen.

Anm.: Auch wenn Ulrich und Christopher oft einer Meinung sind, so ist Ulrich hier komplett gegenteiliger Meinung.

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2 Antworten auf „Warum die öffentliche Behauptung ohne Beleg, es hätte Wahlbetrug gegeben, strafbar sein sollte“

  1. Was wäre, wenn eine autoritäre Partei dereinst mal das Ruder in der Hand haben sollte? Und dann auf solche Gesetze zurückgreifen kann? Will man das?

    Man sieht ja in Ungarn, der Türkei oder Russland, dass „moderne“ autoritäre Systeme mit großer Freude Wahlen abhalten. Das gibt Legitimität, ist eine Herrschaftspraxis. Wenn man Zweifel an der Legitimität dieser Wahlen dann auch noch mit vorautokratischen Gesetzen niederknüpeln kann, macht es die Sache nicht besser. Im Gegenteil.

    Demokratie kann man meiner Meinung nach nicht erzwingen. Bzw. man kann sie erzwingen, aber dann hält sie nicht lange. Demokratie muss von Demokraten getragen werden – gelingt dies nicht, helfen keine Gesetze, keine Verfassungen, keine Ewigkeitsklauseln – nichts. Wenn wir die Demokratie nicht als Demokraten verteidigen, werden unsere Kinder oder Enkel sich die Demokratie wieder hart erkämpfen müssen.

    Sorry für den pathetischen Abschluss. 😉

    1. Hallo,

      autoritäre Parteien Regime schaffen sich in der Regel die Rechtsgrundlage, auf der sie dann Gegner verfolgen. Gleichzeitig geht es hier um einen sehr eng umrissenen Bereich, ich sehe eigentlich kein Missbrauchspotential.

      Gruß

      Christopher

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