Die ganze Wahrheit über „Zwangsgebühren“

tl;dr: Auch private Medien finanzieren sich zu 100% aus unserem Geld, denn Firmen können nur dadurch werben, dass wir bei ihnen kaufen.

Im Zuge des „Umweltsau“-Shitstorms, der wegen eines harmlosen, satirischen Kinderliedes von Rechtsextremen gegen den WDR inszeniert wurde, kam es erwartbar auch zu Forderungen, der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse „reformiert“ werden. Dabei geht es auch um die Frage, wie hoch der Rundfunkbeitrag, der von jedem Haushalt entrichtet werden muss, sein soll. Hierbei wird auch der rechte Kampfbegriff „Zwangsgebühren“ verwendet. Der Rundfunkbeitrag beträgt seit dem 1.5.2015 monatlich 17,50 Euro, also 210,- Euro im Jahr oder rund 58 Cent am Tag.

Ich möchte mich in diesem kurzen Beitrag nur einem Teilaspekt dieser Debatte um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks widmen. Meine Haltung zum ÖRR lässt sich so zusammen fassen, dass ich ihn bei weitem nicht für perfekt halte, die deutsche Medienlandschaft in meinen Augen mit ihm aber deutlich besser dasteht als ohne ihn. Es ist immer wieder wichtig daran zu erinnern, dass der ÖRR als Gegenmodell zu der durch den Nationalsozialismus gleichgeschalteten Medienlandschaft im Dritten Reich entworfen wurde. „Nie wieder!“ sollte eben auch bedeuten, dass Medien nie wieder durch Politik so instrumentalisiert werden sollten, wie dies im Dritten Reich durch die Nazis geschah. Es verwundert also nicht, wenn sich gerade Rechte und Rechtsextreme am öffentlich-rechtlichen Rundfunk abarbeiten: Er steht ihren Fantasien von der Machtergreifung bzw. vom Tag X im Weg. Dabei möchte ich nicht verschweigen, dass es auch im ÖRR Tendenzen gibt, Rechtsextremen entgegen zu arbeiten, ein Thema mit dem sich kritisch auseinander gesetzt werden muss, das hier aber auch nicht behandelt werden kann.

Worum es mir geht ist, dass in der Gegenüberstellung von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privaten Medien immer so getan wird, als würde der ÖRR durch Zwang von den Bürgerïnnen finanziert werden, wohingegen dieselben Bürgerïnnen mit der Finanzierung von privaten Medien absolut nichts zu tun hätten. Das ist nämlich falsch. Denn auch private Medien finanzieren sich, genau wie der ÖRR, durch unser Geld.

Aber von vorn: Die Haupteinnahmequelle großer privater Medien wie Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern ist nach wie vor Werbung. Wer bezahlt Werbung? Unternehmen! Womit bezahlen die Unternehmen Werbung? Mit Geld! Woher haben diese Unternehmen Geld? Von uns! Von welchem Geld bezahlen Unternehmen also Werbekampagnen, durch die sich dann wiederum private Medien finanzieren? Von unserem Geld! Aha!

Ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen, zu sagen, dass alle privaten Medien in Deutschland zu 100% durch uns finanziert werden. Zwar nicht so gleichmäßig wie beim Rundfunkbeitrag, aber durch uns. Denn wo sollte das Geld sonst herkommen? 

Es wird aber noch besser: Unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel wenn man Arbeitslosengeld II bezieht, kann man vom Rundfunkbeitrag befreit werden. Es wird aber nur einer Person, die sich komplett autark selbst versorgt, gelingen, kein Geld für Dinge des alltäglichen Lebens auszugeben. Was ich damit sagen will: Es ist unmöglich zu verhindern, dass die Unternehmen, bei denen man Dinge kauft, von einem Teil dieses Geldes Werbung bei privaten Medien schalten.

Der oft vorgebrachte Vorwurf, man würde ja Gebührengelder zahlen ohne jemals auch nur ein Programm des ÖRR zu sehen läuft also komplett ins Leere. Denn anscheinend bereitet es ja kein Problem, durch die persönlichen Konsumentscheidungen zum Beispiel die „Bild“ oder „Die Zeit“ oder das Online-Magazin „Vice“ zu finanzieren, obwohl man diese auch nie liest.

Ironischerweise ist die Verwendung der sogenannten Zwangsgebühren deutlich transparenter, als die Mittelverwendung bei privaten Medien. So legt zum Beispiel der WDR, wie andere Sender des ÖRR Rechenschaft über seine Mittelverwendung ab, frei einsehbar im Internet.

Dass Sigmar Gabriel einen Vertrag über 15.001-30.000 Euro monatlich mit der Holtzbrinck Publishing Group abgeschlossen hat, erfuhren wir durch Recherchen des Magazins „Der Spiegel“ bzw. dadurch, dass Gabriel diese Nebentätigkeit gegenüber dem Bundestag angeben muss.

Wer sich also darüber aufregt, dass der Intendant des WDR, Tom Buhrow, ca. 33.250,- Euro Brutto im Monat verdient, oder dass von „unseren Gebührengeldern“ Schlagersendungen oder das „Traumschiff“ produziert werden, kann sich ja mal zur Abwechslung darüber aufregen, wofür private Medien das Geld ausgeben, das sie mit Werbung verdienen: zum Beispiel für Sigmar Gabriel oder so menschenverachtende Formate wie „Germany’s Next Topmodel“ oder „Frauentausch“. Denn auch das Geld für diese Sendungen, ob wir sie gucken oder nicht, kommt von uns.

Damit will ich den ÖRR nicht heilig sprechen, es gibt wie gesagt genug an ihm zu kritisieren. Und ich will private Medien nicht verteufeln, auch die machen gute Sachen. Aber in der Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte man in der Gegenüberstellung mit privaten Medien nicht mehr so tun, als wären diese nicht durch die Bürgerïnnen finanziert. In unserer Konsumgesellschaft ist es nämlich unmöglich, private Medien nicht zu finanzieren. Sämtliche demokratischen Kontrollmechanismen, wie zum Beispiel Rundfunkräte oder ein öffentlich-rechtlicher Sendeauftrag, sind bei privaten Medien schlichtweg nicht vorhanden.

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